Indischer G

Der Traum vom urigen G-Modell endet leider all zu oft am Kontostand. Alternative? Wie wäre es mit seinem indischen Halbbruder, dem Tempo Trax. XXL-Spaltmaße, gern gammelig, aber äußerst robust und günstig


Liebesbeziehungen beginnen eigentlich anders. Mit reichlich Herzklopfen vielleicht, und anziehendem Duft. Als Jörg zum ersten Mal die Tür des Tempo Trax Judo aufzieht, kitzelt ihn ein Geruchsmix aus ranziger Butter und totem Fisch. Der kantige Geländewagen steht auf Sylt und schaut müde zum Meer. Anspringen? Dafür müsste die Batterie noch am Leben sein. Während ein neuer Akku organisiert wird, gehen wir schnell mal auf Entdeckungsreise.

Gurkha, Pickup, Judo


 

Tempo Trax Judo – das ist weder eine neue Sportart, noch ein umständlicher Kosename für einen Mercedes G, dem der Judo erstaunlich ähnlich sieht. Kein Wunder, er ist ja auch sein indischer Halbbruder. Ein kompromissloser Lizenzbau des Ur-G von Force Motors Ltd. Eine Marke, die bis 2005 unter dem Namen Bajaj Tempo Ltd. bekannt war und Ende der 70er die Kooperation mit Mercedes einging. Erste Früchte waren die Modelle Tempo Traveller und Exel – beides Nachbauten des Mercedes T1, die bis heute in weiter entwickelter Form in Indien gebaut werden. Ende der 80er brachte Force schließlich die Vollblut-Geländewagen- Familie Tempo auf den Markt – basierend auf den Genen des Ur-G. Der Gurkha ist ein in drei Radständen (2400mm, 2750mm, 3050mm) angebotener, offener Geländewagen, den es mit Plane oder Hardtop gibt. Er dient unter anderem beim indischen Militär und klettert gern durch die Pfade des Himalaja. Die zweite Version heißt schlicht Pickup, ein brutales Arbeitstier und Lademeister. Es gibt ihn als Zweisitzer und Doka.

Dritter im Bunde ist der Judo – technisch baugleich mit seinen Brüdern, trägt er auf seinem Leiterrahmen ein vollgeschlossenes Chassis. Wie den Gurkha gibt’s ihn in drei Längen. Bis vor ein paar Jahren wurden die Modelle auch nach Europa importiert – bis es keine Chance mehr gab, für die vergleichsweise alte Technik eine neue Zulassung zu bekommen. Zurück nach Sylt, wo solch ein Judo mit frischer Batterie auf allen vier Zylindern zündet. Voller Glück erzählt der Besitzer, dass er das Surfen liebe, aber leider an verschlissenen Bandscheiben leide. Also packte er Brett und Segel stets in den geräumigen Kofferraum des Judo, fuhr ihn rückwärts in die brandenden Wellen und ließ sein Equipment zu Wasser. Dann parkte er den Geländewagen in der Nähe ab und ging seinem Hobby nach. Jeder Autofan weiß, dass es nichts Fieseres für geliebte Bleche gibt als Salzwasser. Kein Wunder also, dass dieser Judo Baujahr 2003 ziemlich löchrig dastand.

5 Jahre * 500 Stunden


Jörg konnte all das nicht abhalten. Er suchte ein bezahlbares 4×4-Arbeitstier mit Charakter und reichlich Anhängerlast – der Judo darf 3750 Kilogramm wegschleppen –, handelte ordentlich und lud schließlich den 4,25 Meter langen Tempo auf seinen Trailer. Dabei plätscherte Kraftstoff aus dem porösen Tank. Wie gesagt, Liebesgeschichten beginnen anders. Fünf Jahre und 500 Arbeitsstunden später steht Jörg am Ufer der Ems und schaut auf seinen indischen Kumpel. Wie nur wenige kennt er den Judo mittlerweile in- und auswendig. Mittlerweile weiß er, wie großzügig Force diese Autos zusammensetzt. Spaltmaße im zweistelligen Millimeter-Bereich? Normal! Er weiß aber auch, wie einfach ihr Aufbau und ihre Technik ist. Schätzt, wie robust sie sind, wie kinderleicht zu reparieren.
Wenn nur der Rost nicht so schlimm gewesen wäre …  Unter anderem fertigte er vier Radläufe, die hinteren Radhäuser und diverse Bleche am Heck neu an und setzte sie sauber ein. Überarbeitete die Schweller und fand hinter den Seitenteilen noch feuchten Sand aus Sylt.
Als irgendwann kein Rost mehr aufzuspüren war, wurden alle Hohlräume versiegelt, die Karosserie neu lackiert. Anschließend gab es handgefertigte Radhaus-Schalen aus 4 Millimeter dicken PE-Platten – natürlich mit Abstandshalter zu den Blechen, damit nix gammeln kann. Ein Sattler überzog derweil Sitze, Tür- und Seitenverkleidungen neu. Das halboffene Armaturenbrett mit den paar Mercedes-Schaltern bekam eine Verkleidung, die riesigen Türspalte doppelte Dichtungen.

Indiens G-Modell

Als wir am Nachmittag Richtung Nordsee fahren, brummt der Judo wie ein alter Freund. Kein Wunder, sein Vierzylinder-Selbstzünder ist quasi der OM616 – wie es ihn auch im W123 gab. Der hier hat gerade mal 35 000 Kilometer runter. Dank eines KKK-Turbos bringt er es auf 90 PS und rund 180 Newtonmeter Drehmoment. Fünfgang-Schaltgetriebe, zuschaltbarer Allradantrieb mit Untersetzung sowie zwei hydraulische Sperren sind ebenso Serie wie das gute Gefühl, von nichts und niemanden aufgehalten werden zu können.

Rohes 4×4-Feeling


g-modell

tempo trax judo

Gutmütig zieht uns der Judo mit Tempo 95 übers platte Land, Wind- und Abrollgeräusche sind absolut erträglich, dafür hat Jörg gesorgt. Dass die Federung (vorn Drehstab-Prinzip, hinten XXL-Blattfedern) ein gemütliches Komfortgefühl bescheren, stört nicht. Im Gegenteil: Dieses Auto ist nicht annähernd fürs Schnellfahren gebaut. Sein Reiz liegt vielmehr in der Einfachheit. Ähnlich wie frühe Defender und G-Modelle bekommt man hier rohes 4×4-Feeling. Luxus bedeuten Servo und Bremskraftverstärkung. That’s it! So fahren wir nicht einfach von A nach B, sondern erleben ein Abenteuer. Hoch oben sitzend ist die Rundumsicht wunderbar. Der Diesel schnurrt kraftvoll, die Schaltwege sind lang und butterweich. Am Ende des Tages wissen wir, was die Tempo Trat-Modelle so einmalig macht. Generell bieten sie Ur-G-Modell-Feeling zum kleinen Preis. Gebrauchte Modelle, wenn man denn welche findet, werden in einigermaßen brauchbarem Zustand um die 10.000 Euro gehandelt.
In diesem speziellen Fall ist der Zustand so traumhaft, dass es wohl keinen besseren Trax geben wird. All die Großzügigkeit und Schwäche der Verarbeitung sind ausgemerzt, alle Bleche gesund und versiegelt, die Technik überarbeitet, der Motor gerade erstmal eingefahren. Eigentlich sollte der Judo für Jörg ein Arbeitstier werden, das hat sich längst erledigt. Deswegen wird er ihn zum Kauf anbieten – und kann eins garantieren: Für den Käufer wird es vom Start weg eine Liebesbeziehung.

Indiens G-Klasse

Tempo Trax Judo

Erschienen im Magazin Youngtimer